Gute-Nacht-Geschichte

Handelnde Personen:
Gilb: ein kleiner Teddybär
Nevermore: ein noch kleinerer Plüschrabe
Beide aus der Familie von Sigrid F.

Sie marschierten fröhlich durch den Wald. Zumindest am Anfang. Zumindest so lange, bis der Weg immer schmaler und immer steiler wurde und die Bäume immer mehr Licht verschluckten. Sie wurden langsamer und kamen schließlich ganz zum Stehen.
"Meinst du," fragte der kleine Bär seinen Freund, "meinst du, wir sind hier noch richtig?"
Stille antwortete ihm. Ungewohnte Stille. "Sag doch was", fauchte er seinen Freund an.
"Was soll ich denn sagen", antwortete der Rabe. "Ich weiß doch auch nicht, ob der Weg noch stimmt. Aber weißt du was, ich fliege mal hoch über die Baumwipfel und sehe nach, wo wir sind."
Gesagt, getan, der kleine Rabe flatterte los. Doch er kam nicht weit. Zwischen den Zweigen einer Stechpalme hatte eine Spinne ihr Netz ausgebreitet. Ein Netz, in dem der Rabe sich hoffnungslos verfing. Er konnte nur noch erschreckt krächzen, dann kam schon die Spinne angerannt und begann, den armen kleinen Raben von oben bis unten einzuspinnen.
"Nevermore!" schrie der kleine Bär. "Was ist passiert, Nevermore!". Doch er bekam wieder nur dieses erstickte Krächzen zur Antwort. Er beschloß nachzusehen. Vor Angst war ihm zwar ganz flau im Magen, doch er wußte, daß es jetzt auf ihn ankam. Er mußte seinem Freund helfen. Ungeachtet aller Dornen, zog er sich Stück für Stück in der Stechpalme hoch. Da - jetzt konnte er den kleinen Raben Nevermore sehen. Von den Füßen bis zur Spitze seines gelben Schnabels war er eingehüllt in einen Kokon aus Spinnenfäden.
Gilb überlegte. Er mußte unbedingt seinen Freund retten. Aber wie? Noch während er so überlegte, ereilte auch ihn das Verhängnis. Der Zweig, auf dem er saß, bog sich unter seinem Gewicht und Gilb rutschte. Er versuchte zwar noch, sich irgendwo festzuklammern, aber vergeblich. Er fiel... und fiel... und fiel... bis er von einem weiteren Spinnennetz aufgehalten wurde. Das Netz riß, doch die letzten Fäden, die sich um Gilbs Fuß gewickelt hatten, hielten fest. Der kleine Bär hing jetzt, an einem Fuß gehalten, kopfüber in der Stechpalme, der Rabe Nevermore war Gefangener der Spinne. Die Lage schien aussichtslos.
Sie schien nicht nur aussichtslos, sie war es auch. Die einzige, die wußte, wo sie sich aufhielten, war die böse alte Spinne. Und die würde es niemandem sagen.

Deshalb wäre es durchaus möglich, daß die beiden auch heute noch in dieser Stechpalme hängen. Wenn nicht..., ja, wenn nicht Gilb und Nevermore viel zu faul wären, um auch nur einen Schritt zu Fuß zu gehen und wenn nicht deshalb die ganze Geschichte erstunken und erlogen wäre.

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