Der zwanzigste GeburtstagGleichzeitig greifen wir nach der Teekanne. Da treffen sich unsere Augen, und in dem Moment fangen wir an zu lachen. Draußen schneit es in dicken Flocken, und wir feiern den zwanzigsten Geburtstag unserer Tochter. Diese ist daran gewöhnt, daß sich ihre Eltern immer noch wie ein frisch verliebtes Pärchen benehmen und schüttelt nur leicht den Kopf. "Weißt du, Tina," erzählt mein Mann, "wir haben uns gerade an den Tag deiner Geburt erinnert. Damals schneite es genauso stark wie heute, und wir saßen gemütlich beim Teetrinken, als der Anruf kam, auf den wir schon tagelang gewartet hatten. Und dann der Weg zu dir in die Klinik ..." Draußen schneite es in dicken Flocken, und sie saßen gemütlich beim Tea for Two, als der Anruf kam, auf den sie schon seit Tagen gewartet hatten. Vergessen waren plötzlich die langen Gespräche, in denen sie sich auf diesen Moment vorbereitet hatten. Vergessen war ihr gemeinsamer Beschluß, nicht wie andere werdende Väter in Panik auszubrechen. Vergessen war der gute Vorsatz, auf der Fahrt in die Klinik Ruhe zu bewahren. Vergessen war alles - außer dem Wunsch, schnellstmöglich zu ihrem neugeborenen Kind zu kommen. "Dieser Taxifahrer hatte also so was wie einen Nervenzusammenbruch, weil sie sich durch eine Zeitungsanzeige eine Mutter für ihr Kind gesucht haben," erklärt Tina ihrem Freund. Sein Name war Tom, und vor einem Jahr lebte er mit Katja, seiner damaligen Freundin zusammen. Sie waren Studenten und so glücklich, wie man mit dauernden Geldsorgen nur sein konnte. Tom verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Taxifahren und Katja hatte mehrere Jobs gleichzeitig. Eines Tages entdeckte Tom in der Zeitung eine Annonce. "Sieh mal," flachste er, "wäre das nicht die Lösung für unsere Geldprobleme? Die haben sicher Zaster ohne Ende und könnten uns bestimmt was davon abgeben." "Entweder du vergißt diese hirnverbrannte Aktion - oder du kannst mich vergessen." Tom erschrak über seine eigenen Worte. Aber zurücknehmen konnte und wollte er sie nicht. Katja gab keine Antwort. Jedoch als Tom am nächsten Tag von der Vorlesung nach Hause kam, war sie nicht mehr da. Einen Augenblick lang ist es still im Zimmer. Dann redet mein Mann weiter. "Deshalb hat Tom so heftig reagiert. Und indem er uns seine Geschichte erzählt hat, ist er wohl auch einen großen Teil seiner Wut und seines Selbstmitleids losgeworden. Seine Augen hatten wieder mehr Glanz bekommen, und er begann jetzt, uns auszufragen." Katja traute ihren Augen nicht, als sie zum verabredeten Termin ins Café trat. An dem vereinbarten Tisch saßen zwei Männer, die ihr erwartungsvoll entgegensahen. Nach einer Minute verlegenen Schweigens begannen sie eine lebhafte Unterhaltung, um sich kennenzulernen. Erst gegen Abend, als die Kaffeetassen abgeräumt waren und Weingläser auf dem Tisch standen, wandten sie sich dem eigentlichen Thema zu. Und nach mehreren Treffen beschlossen alle drei gemeinsam, das Projekt in Angriff zu nehmen. "Als wir ihm dies erzählt hatten, war Tom nachdenklich geworden. Wir erzählten ihm, wie während der Schwangerschaft die Freundschaft zwischen uns und Katja gewachsen war. Es ist auch möglich, daß wir erwähnten, wie oft Katja von ihm redete. Jedenfalls, nach einiger Zeit sah er uns an und meinte, "ihr wollt mir also klarmachen, daß eure Freundschaft zu Katja nichts an ihrer Liebe zu mir geändert hat. Und daß es mir nichts ausmachen sollte, daß meine Frau das Kind von irgendeinem anderen Mann auf die Welt bringt. Und vielleicht habt ihr ja sogar recht. Vielleicht ist es wichtiger, daß wir zusammen sind..." Die drei Männer betraten gemeinsam die Klinik und suchten die Entbindungsstation. Dort trennten sich ihre Wege. Zwei wandten sich nach links zum Säuglingszimmer, um ihre Tochter kennenzulernen. Der dritte ging nach rechts zum Zimmer der Mutter. Vor der Tür blieb er stehen, um noch einmal tief Luft zu holen, dann faßte er sich ein Herz und klopfte. "Und zwei Tage später stand Tom mit einer Flasche Wein vor unserer Tür. Er meinte, wir hätten ja alle etwas zu feiern." |
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